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These boots are made for walkin'?

  • eintoenigevielfalt
  • 12. Feb. 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. März 2019



Wenn zarte Perlen derbe Bikerboots umarmen...

Sicherlich hast du diese Schuhe schon des Öfteren gesehen. Nein?

Dann schau beim nächsten Stadtbummel mal auf die Füße der Menschen, die an dir vorbeiziehen.

Es ist dir derzeit zu kalt und ungemütlich draußen? Kein Problem!

Auch auf Instagram, Pinterest und Co. tummeln sich zahlreiche Posts von Träger_innen des extravaganten Schuhwerks.

Das spanische Label ZARA brachte die Bikerboots mit den Perlendetails bereits im Herbst/Winter 2017/2018 auf den Markt. Noch immer reißt der Hype um die Stiefel, die glatt einem Luxuslabel entspringen könnten, nicht ab.


Wir wollen an dieser Stelle hinter das Phänomen schauen und werfen hierzu einen kurzen Blick in die Modetheorie: Beruft man sich auf die Mode- und Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Gertrud Lehnert, so ist Mode von dem ständigen Verlangen nach ästhetisch Neuem und dem gleichzeitig vorhandenen Bedürfnis nach Vertrautem geprägt (Lehnert, 2013: 22).


Doch wie lässt sich diese These auf unsere Perlen-Boots übertragen?


Hierzu führen wir uns als Erstes vor Augen, welche Eigenschaften die Schuhe charakterisieren. Befasst man sich einmal genauer mit Schuhformen, kommt man zu der Erkenntnis, dass ein Stiefel ein Stiefel ist, wenn der Schaft mindestens bis über den Knöchel geht. Endet dieser darunter, spricht man von einer Stiefelette und reicht das Oberteil des Schuhs lediglich bis zur Fußbeuge ist es ein Halbschuh.

Somit ist die Bezeichnung unseres Forschungsobjektes schon mal korrekt.


Weiter eingrenzen lässt es sich außerdem als Schlupfstiefel mit einer Schnürung vorne, die jedoch nur noch einen dekorativen Zweck erfüllt, aufgrund des Reißverschlusses.

Doch was ist das für ein kleines Stück? – Der Blick fällt auf die Zugschlaufe!

Diese Gewebebandschaufe ist noch oft bei Stiefeln und mittlerweile auch bei Turnschuhen in den oberen inneren Schaftrand eingenäht, um das Anziehen zu erleichtern.


Unser Schuhpaar besteht außerdem aus schwarzem matt-glänzendem Kunstleder.

Die Recherchen zu den Perlen-Boots haben jedoch ergeben, dass das Obermaterial der bekannten ersten Variante ZARAs aus Kuhleder und die Innensohle aus Ziegenleder besteht und das für bedenklich wenige 80 Euro…



Der Schnitt und die Anmutung verweisen weiterhin darauf, dass es sich um Bikerboots, zu Deutsch: Motorradstiefel, handelt.

Diese sollten ursprünglich den Zweck erfüllen, das Bein des_der Träger_in vor Auspuff-/Motorhitze durch einen dementsprechend konstruierten Schaft thermisch zu schützen. Auch sollte selbiges Element im Falle eines Sturzes die Haut vor Abschürfwunden bewahren. Die Stiefelsohlen sind durch ein abriebfestes Profil gekennzeichnet, was auch bei unseren Trend-Schuhen optisch zu erkennen ist.


Stiefel wurden aus der Tradition heraus und zweckmäßig bei Soldat_innen getragen und auch der Grundschnitt der Perlen-Boots erinnert an die Kampfstiefel der Bundeswehr. Ebenso erinnern sie an Sicherheitsstiefel von Waldarbeiter_innen oder Einsatzkräfte der Feuerwehr.

Mit Ende des Ersten Weltkrieges wurde der Stiefel zunehmend vom Halbschuh als die „neue“ Fußbekleidung des Alltags abgelöst, da diese preiswerter und bequemer waren und auch die thermische und mechanische Schutzfunktion kaum noch benötigt wurde.


Ab Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich dies durch Klaus Märtens, der 1945, wenige Wochen nach Kriegsende, den Grundstein für die berühmten Dr. Martens setze. Als ehemaliger Arzt der Wehrmacht sehnte er sich nach einem robusten und gleichzeitig bequemen Schuhwerk.

Er entwarf erste Prototypen seiner Stiefel, die eine weniger harte Sohle als die Sicherheitsstiefel haben sollten, die er als Arbeiter tragen musste.

Durch eine Werbeanzeige wurde der Geschäftsführer Bill Griggs vom englischen Unternehmen R. Griggs & Co. aufmerksam auf die Idee des Deutschen. Er erwarb die Produktlizenz für die Sohlen und brachte sie als Arbeitsstiefel auf den Markt. Insbesondere Fabrikarbeiter_innen, Postbot_innen, Soldat_innen und Polizist_innen trugen die neuen Schuhe.

Erstmals als politisches Zeichen wurden die Docs von dem Sozialisten Tony Benn genutzt. Dieser saß im britischen Parlament und wollte durch die Stiefel seine tiefe Verbundenheit zur Arbeiterklasse ausdrücken, für dessen Rechte er kämpfte. Symbolisch tragen seitdem viele linksorientierte Student_innen oder politische Sprecher_innen Dr. Martens.

Zur angesagten Mode konnten die Stiefel jedoch noch nicht werden, da die Schuhkreationen zu dieser Zeit nicht aufregend genug gestaltet sein konnten, denn London zählte erst frisch zu den großen Modemetropolen dazu und musste sich noch beweisen.


Erst eine Splittergruppe der Mods, die Hard Mods, rückten die derben Boots ab 1963/64 wieder in den Fokus und gaben ihnen ihre ganz eigene Symbolik.

Kahl rasierte Köpfe, provokative Kleidung und Doc Martens an den Füßen – so wollte sich die erste Skinhead-Szene von ihren Ursprüngen äußerlich distanzieren.

Brutalität und ein extrem aggressives Verhalten gingen für viele jugendliche Anhänger_innen der Szene mit der Kleidung einher. Die Stahlkappen der Dr. Martens wurden oftmals noch mit Stacheln ergänzt und als Waffe genutzt, um der Summer-of-Love-Bewegung, den Proletariern oder den Every-Day-Workers entgegenzuwirken.

Die englische Modedesignerin Vivienne Westwood trug mit ihrem neuen Ladenkonzept ab Mitte der 1970er Jahre für das Entstehen der Punk-Rock-Szene bei. Auch die Londoner Punks trugen die Docs, um ihre Verwurzelung zu der Arbeiterklasse zu zeigen und waren bei allen Geschlechtern eine beliebte Fußbekleidung.

Unverzichtbar ist die Schuhmarke auch seit den 80ern für viele Szenemitglieder_innen der mit dem Punk verwandten Wave-, insbesondere der Dark-Wave-Bewegung, geworden.

Zum Ende dieses Jahrzehntes gewann die 10-Loch-Variante der Stiefel an Bedeutung für die Waver und verdrängten in den 1990ern sogar die Schnallenschuhe in der Gruftie-Szene.

Ebenso in der EDM-Szene sind die Schnürschuhe ein oft getragenes Statement-Piece.

Doch bei welcher Gruppierung können wir nun die Perlen unterbringen?

Bei den deutschen Poppern der 1980er Jahre. Sie galten als unpolitisch und trugen elegante und teure Marken. Dies führte unweigerlich zu Kämpfen zwischen ihnen und Jugendkulturen wie den Punks oder Rockern.

ZARA Store, Oldenburg, 02/2019

Bezieht man diesen geschichtlichen Hintergrund auf unsere Stiefel, ergibt sich ein interessantes Spannungsverhältnis. An und für sich lässt sich der Stiefel als männlich konnotiertes Objekt einordnen, das sowohl mit der Arbeiterklasse als auch mit Gewalt-Symboliken in Verbindung gebracht werden kann.

Durch seine Materialität und dunkle Farbgebung vermittelt der Perlen-Stiefel Stärke und Schwere, wirkt durch den etwas schmaleren Schnitt und die abgeflachte Sohle jedoch nicht ganz so derb wie die Ursprungsform des Bikerboots.

Die Riemen der Boots sind mit zarten, hellen Perlen verziert, die in einem starken Kontrast zu den Stiefeln stehen und ihnen eine feminine Note verleihen. Dadurch verliert das Schuhwerk seine Robustheit.

Ganz neu ist die Zierde jedoch nicht, denn schon vorher wurden die Riemen von Boots unter anderem bei den Punks mit Nieten ergänzt. Auch dies fand Einzug in die Mode (siehe Abbildung rechts).

Der einstige Arbeits- und Szeneschuh wird durch die Perlen in einen neuen Kontext gebracht und zum aktuellen Fashiontrend, nicht nur unter Instagramer_innen und Blogger_innen.

(AS)



Eintönige-Vielfalt-Bloggerin Lorraine & ihre Perlen-Boots




 
 
 

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